Hochgebirgstour in der Silvretta-Region
vom 23.08. bis 03.09.2011
Teilnehmer/innen: Gerd Andresen, Günther Kjergaard, Ina Kühnelt, Wolfram Kühnelt, Elisabeth Rohde, Reinhard Schaade, Günter Schlotfeldt, Hildegard Vollbehr und Ursula Maxeiner als Gast
Günter Schlotfeldt
Am 22.08.2011 rief mich Reinhard an, dass auf der Strecke Flensburg-Neumünster Gleisarbeiten ausgeführt werden. Also sollten wir mit dem Bus von Flensburg nach Neumünster gefahren werden. Dann mit der Bahn nach Hamburg. Reinhard machte den Vorschlag, über Kiel nach Hamburg einen Zug früher zu nehmen. Das war gut so, dann hatten wir die Zeit und Sicherheit, den Nachtzug von Hamburg nach München zu bekommen. Nun ging die Telefoniererei los; Anne, Elisabeth und Hildegard mussten benachrichtigt werden, weil sie in Tarp und Schleswig zusteigen wollten. Gott sei Dank, klappte alles sehr gut.
Mittwoch, 24.08.2011: Ankunft in Schruns
Wir kamen nach der Nachtfahrt mit dem Zug und ein paar Mal Umsteigen um 12:00 Uhr in Schruns an, wo uns Herr Walsch vom „Haus Irma“ am Bahnhof erwartete; er nahm uns die Rucksäcke ab und fuhr sie zur Unterkunft. Am Nachmittag hatten wir Zeit, bei 31 °C den Ort zu erkunden. Am Abend haben wir uns alle in der Gaststätte „Zur Traube“ im Biergarten getroffen und ließen ihn bei einem guten Essen und Tropfen Wein ausklingen. Dann ging es zum Quartier zurück, wo ich mich auf den Balkon setzte und den kommenden Tag plante.
Wolfram Kühnelt
Donnerstag, 25.08.2011:
Von Schruns zur Tübinger Hütte (2 193 m)
Die Sonne scheint. Sie begleitet uns den ganzen Tag. Was wollen wir mehr? Der Bus bringt uns in einer knappen dreiviertel Stunde von Schruns nach Gaschurn (1 000 m ü. N. N.). Von dort geht es mit einer Kabinenseilbahn auf die Nova Stoba (2 000 m ü. N. N.). Hier beginnt die eigentliche Bergwanderung, die uns in ca. sieben Stunden zu unserem Tagesziel führen soll. Schweißgebadet legen wir nach der ersten Stunde eine Trinkpause ein. Bei dem recht zügigen Tempo von uns ehrgeizigen Flachländern schlägt den meisten das Herz bis zum Hals. Dabei haben wir genug Zeit. Die Versettlaspitze (2 372 m) lädt zu einer erholsamen Fotopause ein. Dann wandern wir auf einem eindrucksvollen Grat und Höhenweg unterhalb der Madrisella vorbei bis zu einem kleinen, blau-grün schimmernden Bergsee, wo wir unsere Mittagspause einlegen. Vier Wagemutige springen in das 14 Grad kühle Nass.
Zur Überraschung aller trifft nun aus der entgegengesetzten Richtung unseres Weges Gerd Andresen auf die Gruppe. Er war wegen einer mehrtägigen Klettertour voraus gefahren und hatte sich in der Tübinger Hütte bereits einquartiert. Gestärkt ziehen wir nun gemeinsam und von einem GPS-Navi unterstützt weiter. Über mehrere kraftzehrende Auf- und Abstiege eines weiteren Gratweges erreichen wir allmählich eine Höhe von 2 560 Metern. Beim langen Abstieg zur Hütte spüren wir unter der Last des Rucksacks unsere Knie. Wie soll das in den nächsten Tagen noch werden? Um halb fünf sind alle am Ziel. Radler, Skiwasser und Bier lassen die Strapazen auf der sonnigen Terrasse der Tübinger Hütte schnell vergessen.
Ina Kühnelt
Freitag, 26.08.2011:
Von der Tübinger Hütte zur Saarbrücker Hütte (2 538 m)
Dieser Tag gibt auf die Frage „Wie soll das noch werden?“ eine erste Antwort: Aufregend, anstrengend, bewegend, spannend, entspannend, erhebend, grandios, gefährlich … Was immer sich hinter dem herausfordernden Begriff „Bergtour“ verbergen mag, an diesem Tag dürfen wir es erleben, ersteigen.
Nach dem Start an der Tübinger Hütte auf 2 200 m um 08:30 Uhr haben wir bereits um 09:00 Uhr 2 450 m auf steilem Serpentinensteig erreicht. Den Blick konzentriert auf die Fußtritte gerichtet, schenkt uns die Bergwelt wie nebenbei den Genuss ihrer Flora: gelbe Arnika, sogar ein knallblauer Enzian, zart lilafarbener Dost, ährige Teufelskralle, kräftiger Steinbrech, strahlend weiße Margerita Montana, winziger Augentrost und in jeder feuchten Senke weiß schwingendes Wollgras. Beim Verschnaufen geht der Blick nach oben, in die Weite. Die Fauna präsentiert sich auf einem Felsgrat großartig in einer Steinbockfamilie, besonders eindrucksvoll durch ein übermütiges Böcklein und in einem Kopfkampf zweier Konkurrenten im Schattenriss. Nach dem heftigen Aufstieg die nächste Herausforderung: Geröll- und Felsklettern als Probe für Trittsicherheit und Kraft, dabei immer Markierungssuche, d. h. Orientierungsübungen. Am Schneefeld wird jeder aufgrund mangelnder eindeutiger Spuren zum Einzelkämpfer gegen eigene Ängste und gegen den unwegsamen, feucht schweren Anstieg. Endlich auf dem Plattenjoch (2 728 m) das erhebende Gefühl, den Grenzstein zwischen Österreich und der Schweiz erreicht zu haben. Zeit für ein wiedervereinendes Gruppenfoto.
Doch schon hat die majestätische Bergwelt eine weitere Aufgabe für uns: Entscheidungen abwägen und treffen. Die Empfehlung der Hüttenwirtin an Günter und Gerds GPS-Ansage stehen sich gegenüber. Wir bauen auf die zeitgemäße Technik, klettern an einem steilen Galerieweg entlang und sind schließlich auf Beobachtung und somit auf Gefahreneinschätzung angewiesen: Der Schweizer und der Kromer Gletscher erscheinen aufgrund von Spalten und vereistem Gefälle zu gefährlich. Risiko! Nichts für uns. Also muss der gewaltige, steile Berg, der uns von unserem Ziel trennt, umwandert werden. Spärlich verstreute rote Markierungspunkte gilt es dabei aufzuspüren. Hochkonzentriert, mit Händen und Füßen ständig Halt suchend, hangeln wir uns zwischen steiler Felswand und einem weit talwärts reichenden Schotterfeld entlang. „Innere Ruhe und Standfestigkeit bewahren“ lautet für jeden die Devise.
Endlich gibt es eine Verschnaufpause und zuversichtliche Vorausschau auf einer Plateaufläche. Wenig später dann die enttäuschende Einsicht: Ende der Strecke! Der Weg ist einem Abbruch zum Opfer gefallen. Also Umkehr und die kraft- und nervenzehrende Tour am Hang zurück bis zum Ländergrenzstein. Die Anspannung des Zwei-Stunden-in-die-Irre-Gehens fällt angesichts der großartigen, gewaltigen Bergwelt allmählich ab: Steinböcke, ein grüner Bergsee, Schneegipfel, gezackte Bergmassive und getürmte Felsbrocken unterschiedlichster Beschaffenheit und Farbe zu unseren Füßen.
Doch schon die nächste Herausforderung: Wetterumschwung. Es wird zur eigenproduzierten Körperfeuchte von oben immer nasser. Wir bewahren Gelassenheit und erreichen die Seelücke auf 2 776 m. Sie gibt den Blick auf unser Tagesziel frei. Doch welch ein Wunder! Hier oben befindet sich in eine Felsnische gebaut „Günthers Wohnstube“, eine alte Zollwachhütte, ein gutes Omen für Sicherheit und Geborgenheit. Dazu zwischen Sonne und Regen das Naturschauspiel eines kompletten Regenbogens, ein ganzes Tal überspannend. Fast andächtige Stille. Nach den Strapazen und Gefahren des Tages ist jetzt nur noch der steile, steinige Serpentinenweg ins Tal zu bewältigen.
Und wieder wird die Unberechenbarkeit unseres Bergerlebens deutlich. Unvermittelt stolpert Ursel, stürzt, überschlägt sich, rollt und bleibt zwischen zwei Kehren liegen. nahe am Abgrund. Sie gibt sich tapfer zuversichtlich, fast unverletzt. Doch das Glück im Unglück findet sich in einer Bergrettungsgruppe, die sich mit Arzt und Geländewagen bei der Hütte aufhält. Alles geht schnell, sach- und fachkundig. So erreicht uns auch nach wenigen Stunden die Diagnose aus dem Tal: Ursels Speiche im Unterarm ist gebrochen. Ihre Bergtour ist zu unser aller Bedauern zu Ende. Wir – nun leider wieder neun – haben die Abend- und Nachtstunden auf der Saarbrücker Hütte, um die Ereignisse des Tages zu verarbeiten und Kraft und Raum für Neues zu schaffen.
Gerd Andresen
Samstag, 27.08.2011:
Von der Saarbrücker Hütte zur Wiesbadener Hütte (2 443 m)
Die Saarbrücker Hütte liegt auf der Südgratschulter des Kleinlitzners in 2 538 m Höhe und ist somit die höchst gelegene Hütte in der Silvretta. Ich habe trotz der Höhe und der Enge im Zimmerlager gut geschlafen. Ich teile mir das Zimmer mit Günter Schlotfeldt, Reinhard Schaade und Günther Kjergaard. Mein erster Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes. Außer Grau ist nichts zu sehen. Es ist total neblig. Während ich mein karges Frühstück einnehme, es besteht aus zwei Scheiben Graubrot, Marmelade, Butter und einer Tasse Kaffee, beginnt es zu schneien. Wir beschließen, nicht über die Klostertaler Umwelthütte zur Wiesbadener Hütte zu gehen, da dies zu gefährlich ist. Als Alternative bietet sich der Wirtschaftsweg zur Straße am Vermunt-Stausee an.
Nachdem wir unsere Regenbekleidung angezogen und die Regenhüllen über unsere Rucksäcke gezogen haben, machen wir uns auf den Weg. Die Entscheidung, den Wirtschaftsweg zu nehmen, erweist sich als richtig, denn der Schneefall wird immer dichter und zu allem Übel setzt auch noch ein Gewitter ein. Es blitzt und donnert. Wären wir auf dem Wanderweg gegangen, hätten wir wohl ernsthafte Probleme bekommen. Von der Straße oberhalb des Stausees fährt ein Bus zur Bieler Höhe. Leider fährt der nächste erst in einer Stunde, und so machen wir uns zu Fuß auf in Richtung Madlener Haus, das unterhalb des Silvretta-Stausees auf einer Höhe von 1 986 m liegt. Das Gehen auf der Straße ist nicht angenehm, aber es bringt uns gut voran. Auf der gegenüberliegenden Talseite treiben die Hirten ihre Kühe ins Tal hinab. Oben ist es bei den Schneemassen wohl zu gefährlich. Nach ca. einer Stunde passieren wir eine Haltebucht an der Straße. Drei Personen unserer Gruppe wollen auf den Bus warten, während die anderen weitergehen. Es dauert nicht lange und der Bus fährt an uns vorbei. Von unseren drei Mitwanderern ist nichts zu sehen. Kurz darauf erreichen wir das Madlener Haus und auch die drei Nachzügler treffen kurz danach ein. Wir entledigen uns der nassen Bekleidung und setzen uns in die gemütliche Gaststube.
Der Schneefall wird immer dichter und wir beschließen, hier zu übernachten. Leider ist alles ausgebucht, aber die Wirtin bietet uns ein Notlager im Spielzimmer an. Nachdem wir gegessen haben, telefoniert die Wirtin mit der Wiesbadener Hütte und so erfahren wir, dass der Weg zur Hütte frei ist und keine Lawinengefahr besteht. Also Regenbekleidung wieder angezogen und los. Mittlerweile sind 20 cm Neuschnee gefallen und wir entscheiden uns für den einfacheren Wirtschaftsweg. Anfangs führt uns der Weg entlang des Stausees. Später lässt der Schneefall nach, dafür verwandelt sich der Schnee zu Matsch, und es ist anstrengend zu gehen. Auf dem letzten Stück des Weges geht es in Serpentinen steil bergan. Die Leistungsfähigkeit der einzelnen Gruppenmitglieder ist unterschiedlich, und so zieht sich die Gruppe immer weiter auseinander. Die letzten erreichen die Hütte um 17:00 Uhr.
Die Wiesbadener Hütte liegt am Ende des Ochsentals auf einer Höhe von 2 443 m. Die Hütte ist sehr komfortabel eingerichtet. Es gibt neben einem Schuhraum auch beheizte Trockenschränke für die nasse Bekleidung. Die Zimmer sind geräumig. Wir beziehen ein 4- und ein 5-Bett-Zimmer. Auch die Aufenthaltsräume und die sanitären Anlagen lassen nichts zu wünschen übrig. Das Personal ist freundlich und hilfsbereit. Wir können wählen zwischen Halbpension und á la carte. Vier nehmen Halbpension und fünf entscheiden sich für á la carte. Morgen bleiben wir auf dieser Hütte. Deshalb sitzen wir etwas länger zusammen und führen angeregte Gespräche. Aber irgendwann geht der schönste Abend zu Ende, und auch die letzten der Gruppe begeben sich auf ihre Zimmer.
Hildegard Vollbehr
Montag, 29.08.2011:
Von der Wiesbadener Hütte zur Jamtalhütte (2 165 m)
Nachdem wir gestern einen „freien“ Tag hatten, wird es heute wieder richtig anstrengend. Der Schnee von vorgestern ist noch nicht ganz geschmolzen. Deshalb müssen wir auf den Weg achten: Schauen oder gehen! Beides geht nicht. Zunächst erreichen wir den Radsattel. Eigentlich war vorgesehen, am gestrigen Tag von hier aus auf das Hohe Rad (2 934 m) zu gehen. Aber der Neuschnee ließ es nicht zu. Dafür waren Ina und Wolfram gestern allein auf dem Kleinen Rad. Vom Radsattel aus haben wir gute Sicht. Nach einer kleinen Pause geht es wieder ca. 300 m bergab, am Radsee vorbei. Danach wandern wir in einem weiten Bogen wieder bergauf. Rechts befindet sich der Madlenerferner. Es wird jetzt ziemlich rutschig, und trotz aller Vorsicht gleite ich kurz vor dem Erreichen der Getschnerscharte (2 839 m) aus. Ein blauer Fleck und eine Abschürfung an der Hand, die Anne mit einer Wundersalbe versorgt, sind das Ergebnis.
Günter hat mehrfach erwähnt, dass es beim Abstieg von der Getschnerscharte zur Jamtalhütte etwas gefährlich werden kann. Eigentlich hätte hier ein Schild stehen müssen mit dem Hinweis „Nur für sehr geübte Bergsteiger“. Aber zum Glück ist der Weg trocken. Wir strengen uns alle sehr an und konzentrieren uns bei jedem Schritt. Nur nicht ins Rutschen kommen und keine Steine lostreten! Wir wagen es kaum, einen Blick auf den wunderschönen Getschnerferner zu werfen. Gerd geht am Schluss, damit wir nicht von nachfolgenden Wanderern gedrängt werden. Die 700 Höhenmeter hinab zur Jamtalhütte bleiben bis zuletzt anstrengend. Zum Glück erreichen wir die Unterkunft ohne Blessuren. Die Jamtalhütte ist eine sehr moderne Alpenvereinshütte mitten in der Silvretta. Nach dem Lawinenunglück im Februar 1999 wurde die Hütte im Sommer 1999 wieder vollständig renoviert und lawinensicher gemacht. Sogar eine Kletteranlage gibt es in der Hütte. Ina und ich testen unsere Kletterkünste, stoßen aber bald an unsere Grenzen.
Nach dem heutigen anstrengenden Abstieg gibt es zur Belohnung ein besonders gutes Abendessen: Gemüsecremsuppe, Gulasch, Erbsen und Spätzle und als Nachspeise eine Schwarzwälderkirschschnitte. Wie jeden Abend kauft Reinhard eine Ansichtskarte für Ursel und schreibt einen kurzen Tagesbericht. Ursel hatte leider am zweiten Wandertag Pech, rutschte aus, brach sich das linke Handgelenk und musste zu unserem Entsetzen die Tour abbrechen und mit der Bahn allein nach Hause fahren. Zum Glück hat Ursel ihre positive Einstellung nicht verloren. Sie denkt schon wieder an weitere Bergtouren. Uns fällt während der gesamten Wanderung auf, dass der Permafrost, der in den letzten Jahren auch in den Alpen stark zurückgegangen ist, Steine und Felsbrocken auf den Wegen und an den Felswänden nicht mehr so fest im Griff hat. Wir prüfen deshalb vor jedem Schritt oder Griff, ob sie noch feststecken und wir auch wirklich Halt finden.
Reinhard Schaade
Mittwoch, 31.08.2011:
Von der Jamtalhütte zur Heidelberger Hütte (2 260 m)
Heute erwartet uns wieder eine knackige Tour. Rund 700 Höhenmeter aufwärts und 700 m knieschmerzend abwärts. Wir starten bei bedecktem Himmel kurz nach 08:00 Uhr. Wieso steht man im Urlaub eigentlich so früh auf? In der ersten Stunde des Aufstieges herrscht in der Gruppe absolute Ruhe. Nicht, dass jemand das Sprechen verboten hätte, es ist mehr eine Mischung aus körperlicher Anstrengung – also Kurzatmigkeit –, Aufstiegsrhythmus zu finden, noch müde sein, wann sind wir endlich da und was gibt es heute Abend auf der nächsten Hütte zu essen! Kurz vor unserem höchsten Punkt erstreckt sich ein wunderschönes Gletscherflussdelta, an dem wir entlang wandern. Das Rauschen der großen und kleinen Bergflüsse begleitet uns schon die gesamte Tour. Am obersten Punkt, dem Kronenjoch (2 950 m) angekommen, gönnen wir uns eine längere Trinkpause, denken wir zumindest, aber es ist dort oben bitter kalt.
Die Sonne versteckt sich noch hinter den Wolken, so dass wir uns schnell von dort bergabwärts entfernen. Es ist wider Erwarten ein moderater Abstieg. Die Sonne setzt sich mehr und mehr durch. Von Weitem sehen wir hinter einem riesigen Felsen versteckt die Heidelberger Hütte. Links neben der Hütte erscheint uns etwas Interessantes. Eine Menge Leute wuseln am Boden innerhalb einer abgesperrten Fläche herum. Wir stellen uns an die Absperrung, und bevor ich etwas sagen kann, steht ein junger Mann auf, kommt auf uns zu und erzählt uns, dass sie ein Team von Archäologen von der Universität Zürich seien und an einer Ausgrabungsstätte arbeiteten. Praktisch 30 m von der Heidelberger Hütte entfernt, stand vor ein paar hundert Jahren vor Christi bereits eine Schutzhütte. Schon vor so langer Zeit haben die Menschen hier ihr Vieh die Berge hinaufgetrieben, um an das schmackhafte Gras zu kommen.
Die Wirtin der von innen sehr urigen Hütte erzählt uns, dass jetzt 80 % der Sommergäste Mountain-Bike-Fahrer seien. Die Hütte liegt direkt an der Route Oberstdorf-Gardasee, eine von vielen Radfahrrouten über die Alpen mit einer Streckenlänge von 400 km total (45 bis 80 km pro Tag) und Höhenmeter total 11 000 m (1 600 bis 2 200 m pro Tag). Das Essen ist, wie bisher auf jeder Hütte, sehr lecker, und wir gehen wie bisher auch immer sehr früh ins Bett. Um 21:00 Uhr liegen wir im Bett, Günter und Gerd haben noch lustige Geschichten aus ihrer Lehrzeit auf Lager. Wir lachen viel, aber nach 20 Minuten ist Schluss, dann wird geschlafen!
Wolfram Kühnelt
Donnerstag, 01.09.2011:
Von der Heidelberger Hütte zum Zeinisjochhaus (1 822 m)
Nach einem Superfrühstück spuckt uns die in die Jahre gekommene, aber doch recht gemütliche Hütte ins Freie. Wind, Wolken und Kälte zeigen den Wetterumschwung an. Unser eingeschlagener Pfad endet schnell auf einer belanglosen Kuhweide. Fehlstart. Die Gruppe schwenkt nach rechts, geht in einer Kette wie bei einer Treibjagd, bis sie auf den richtigen Weg stößt. Kühe schauen verständnislos zu, nur die drei kleinen Murmeltiere scheinen Freude an uns zu haben. Als das Muttertier zurückkehrt, müssen die Kleinen flugs in den Bau. Es beginnt zu regnen. Jeder schützt sich entsprechend seiner Ausrüstung und Überzeugung so schnell wie möglich gegen das Nass von oben, das uns noch bis in den Nachmittag hinein begleitet. Der stetig steile Anstieg über grüne Almen zum Ritzenjoch (2 688 m) fordert uns noch einmal voll heraus. Oben angekommen, wechseln wir wieder von der Schweiz nach Österreich. Das ungemütliche Wetter lässt uns hier nicht lange verweilen.
Der Abstieg auf der Gegenseite kann gegensätzlicher nicht sein. Auf grau-braunem Schotter und an vereinzelten Markierungszeichen sucht jeder seine Spur. Um uns herum hohe, kahle Felswände, die gipfelwärts drängen. Bald kündigen die ersten kleinen Grünflächen mit vereinzelten Blumen wie das Vergissmeinnicht das Lareintal an. Schließlich stoßen wir auf den wild polternden Lareinfluss, entlang dem es nun schnellen Schrittes flussabwärts geht. Am alten, idyllischen Zollhaus wechseln wir über eine geländerlose Brücke die Seite. Zur Mittagszeit erreichen wir endlich die Lareinalp. Doch sie hat für unsere Gruppe keinen Platz mehr. Eine Riesenenttäuschung, mit knurrendem Magen ziehen wir weiter talabwärts. Wald umgibt uns nun. Vorbei geht es an einem Kreuz- und Glaubensweg hinüber zum Trisannatal nach Tschaffein (1 670 m).
Die Zivilisation hat uns wieder. Ein befremdliches Gefühl nach acht Tagen purer Gebirgsnatur. Auffällig am Ort sind die aus Felsgestein haushoch errichteten Schutzmauern, die Lawinen abhalten sollen. Ein Wartehäuschen bietet etwas Schutz vor der Witterung, bis uns der Bus zu unserem Tagesziel, dem modern gestalteten, aber dennoch gemütlichen Alpengasthof nach Zeinisjoch befördert. Unsere gepflegte Unterkunft liegt an zwei unterschiedlich hohen Stauseen. Ein schöner Anblick. Abends wartet auf die Feinschmecker der Gruppe dann noch ein schmackhaftes 5-Gänge-Menü.
Freitag, 02.09.2011:
Vom Zeinisjochhaus nach Gaschurn und Schruns (700 m)
Auch heute lässt das Frühstücksbüfett nichts zu wünschen übrig, einschließlich gekochtem Ei. Reinhard stimmt die Gruppe auf das abendliche Fußballspiel Österreich gegen Deutschland ein. Die Normalität hat uns wieder eingeholt, aber nicht ganz. Schließlich soll es noch eben mal nach Gaschurn runter gehen. Bei Regen wandern wir zunächst eine ganze Weile bergauf, der landschaftlichen Schönheit wegen. Davon ist aber bei dieser Witterung wenig zu spüren, zudem hat die nächste Alphütte, von der wir Unterschlupf und Stärkung erwarten, die Sommersaison bereits abgeschlossen. Nun ziehen wir auf der Höhe am Talhang entlang weiter und genießen endlich die Leichtigkeit der Berge mit weitem Blick über das Tal. Wir durchwandern eine interessante Hochmoorlandschaft mit einem Moorsee, dessen Oberfläche starr wie ein Spiegel ruht. Es hellt langsam auf. Wir treffen Tageswanderer mit ihren Hunden, die nicht immer gehorchen und Elisabeth bedrohlich ankläffen. Unter dem Berggipfel beobachten wir weiße und braune Schafe wie Perlen auf eine Kette gereiht. Dann nimmt noch eine Kreuzotter auf unserem Weg vor unseren schweren Stiefeln Reißaus.
Auf 1 550 Metern kreuzen wir die Zwischenstation der Tafamunt-Seilbahn. Hier sind eifrige Handwerker dabei, der kleinen Hüttengaststätte zu neuem Glanz zu verhelfen. Beim Blick ins Tal ahnen wir bereits unser Tagesziel. Die beruhigende Ankündigung von Günter, „wir sind gleich da“, tut zwar gut, zieht sich in ihrer Umsetzung bei einem recht steilen und langen Abstieg durch den Wald abermals in die Länge. Zudem stimmen Karte und GPS-Navi nicht immer überein. Wo geht es lang? Gegen 15:00 Uhr erreichen wir Gaschurn, einen Bilderbuchort, sauber, adrett, stilvolle Gebäude mit üppig blühenden Balkonkästen. Auf dem Kirchplatz spüren wir die Aufgeregtheit einer unmittelbar bevorstehenden Trauung. Die Bräutigamsmutter lässt sich von uns in ihrem trachtenähnlichen Festtagskleid fotografieren. Für uns in allem eher ein touristisches Zubrot. Wir wollten und hatten alpine Berge pur! Danke, lieber Günter Schlotfeldt, und danke, DAV Sektion Flensburg, für eure Mühe und euer Engagement.
P.S. Von Gaschurn geht es noch am gleichen Tag mit dem Bus nach Schruns, wo wir im Hotel „Taube“ unter Platanen unser Abschiedsessen genießen und in der Pension „Irma“ ein zweites Mal in frischer oder alter Bettwäsche übernachten. Natürlich gibt es für die ganz Sportlichen noch die Fußballübertragung. Am darauf folgenden Tag (12. Tag) treten wir dann mit der Bahn die Rückreise nach Flensburg über Stuttgart an. Ankunft im hohen Norden gegen Mitternacht mit sehnsuchtsvoller Begrüßung und Umarmung durch liebe Familienangehörige.
Noch ein paar Fotos von Günter (schönes Wetter) und Gerd (Schnee):