Ausgangspunkt der Wanderungen war Almi’s Berghotel in dem lauschigen, entlegenen Dorf Obernberg in dem gleichnamigen Tal, einem Seitental des Wipptals, das alle kennen, da es die Verbindung von Innsbruck hinauf zum Brenner ist. Das Obernbergtal ist das letzte vor der Passhöhe und geht nach Westen. Wegen des großen Andrangs hatte Holger Heitmann zwei Gruppen zusammen gestellt, die nacheinander vor Ort und mit Bergführer Aldo Guerrero unterwegs waren. Dies ist der Bericht der zweiten Gruppe, aufgeschrieben von Joachim Pohl.
7.2.2022
Das Wetter am ersten Tag: starker Wind und Schneegestöber, 30 cm Neuschnee. Das Hotel ist klein, mit viel Familie, und sehr muckelig. Wir sitzen in einem holzgetäfelten Raum voller alpinem Schnickschnack. Im Treppenhaus wird man von Luis Trenker auf einem Riesenportrait angelacht. Überall Gemsen, Holzberge, Schnee und so weiter. Gleich beginnt der Unterricht mit unserem Guide Aldo Guerrero im Seminarraum.
Es beginnt mit einer Theorieeinheit im Seminarraum. Aldo erklärt etwas über Lawinen und über Maßnahmen bei einem Lawinenunfall. Sicherlich wird der eine oder andere an die Unfälle denken, die erst vor wenigen Tagen gar nicht so weit von hier neun Todesopfer in 24 Stunden gefordert haben.
Dann ist es Zeit, von der Theorie zur Praxis zu wechseln. Die Winter-Wanderklamotten werden angezogen. Im Yoga-Raum erläutert Aldo die Funktion der Such- und Sendegeräte, mit denen im Fall eines Falles verschüttete Personen gefunden werden können. Auch zeigt er, wie man die Schaufel zusammenbaut. Dazu gibt es eine vier Meter lange Sonde in Form einer langen Zeltstange.
Wie immer am Anfang einer Schneeschuhwanderung ist es ein ziemliches Gerödel und Gewurschtel – die dicken Winter-Klamotten, die Gamaschen, die Schneeschuhe, das Suchgerät unter dem Pullover, die Handschuhe, die Mütze, den Schal alles anzuziehen und richtig zu verpacken. Das war das Anstrengendste des Tages, raunte der Reiseleiter.
Die Tour führte vom Hotel durch das Dorf und von dort stetig bergauf durch den Wald bis auf eine Wiese. Es dürften gut 300 Höhenmeter gewesen sein. Die Teilnehmer hatten sich schnell an das etwas ungewohnte Gehen mit den Schneeschuhen gewöhnt. Der eisige Wind und der fliegende Schnee waren eine Herausforderung. „Das war ein Mutanfall für mich“, sagte eine Teilnehmerin, die zum ersten Mal das Abenteuer einer Schneeschuhwanderung wagte.
8.2.2022
Zweiter Tag. Wanderung zum Obernberger See und zur Steiner Alm. Ein wunderbarer Tag! Was für ein Kontrast zu gestern! Der eisige Wind hatte sich verzogen. Schon morgens war der Himmel aufgelockert, im Laufe des Tages ging die Bewölkung immer weiter zurück. Im Windschatten hatte die Sonne schon wirklich viel Wärmekraft.
Nach einer kurzen Busfahrt zur Endstation das Tal hinauf wanderten wir zunächst ohne Schneeschuhe los. Die Wege waren fast menschenleer – außer uns. Es ging durch einen Nadelwald bis zu einer kleinen Kapelle, die auf einer Anhöhe zwischen zwei kleinen Seen lag. Maria am See. Ein wunderbarer Ort mit fantastischen Ausblicken auf die umliegenden Berge. Alle waren total begeistert, es wurden viele Fotos gemacht, einige zündeten eine Kerze in der Kapelle an.
Mit Schneeschuhen ging es dann weiter kontinuierlich bergauf durch eine zauberhafte verschneite Landschaft. Wir erreichten die Steiner Alm, wo wir eine längere Rast einlegten. Ein idyllischer Ort mit Blick auf die Berge, beschienen von der Wintersonne.
Auf dem Rückweg konnten wir erneut das Gleiten mit dem Schneeschuh üben. Auch nutzte Aldo die Gelegenheit, in einer fingierten Lawine die Suche nach einem Vermissten zu üben. Mehrere Teilnehmer hatten die Aufgabe, mit ihrem Suchgerät ein verstecktes Sendegerät zu suchen und zu finden. Das klappte erstaunlich gut. Auch in den folgenden Tagen wurde jeden Morgen die Funktion des Sende- und Suchgerätes von jedem einzelnen Teilnehmer überprüft. Dafür gab es an zwei Stellen sogar automatische Geräte am Wegesrand. Man merkt, dass das Thema Lawinen hier allgegenwärtig ist. Von den Teilnehmern wurden allerdings keine starken Bedenken geäußert. Man verließ sich voll und ganz auf den stets umsichtigen Bergführer – und zwar zurecht.
9.2.2022
Dritter Tag. Zunächst mit dem Bus vom Hotel hinunter nach Gries. Ausstieg direkt unter der spektakulären Europa-Brücke im Zuge der Brenner-Autobahn. Von dort kontinuierlicher Aufstieg durch bewaldetes Gebiet bis zur Sattelberg-Alm. Von dort ging es weiter hinauf auf den Sattelberg, dort großes Gipfelhallo. Es war recht steil, alle benutzten die integrierte Steighilfe in den Schneeschuhen, und man lief in der Sonne. Dort oben war relativ viel los.
Der Abstieg über die Skipiste gestaltete sich herausfordernd. Teilnehmer Bent löste das Dilemma, indem er die Lawinenschaufel zu einem Alurodel umfunktionierte und die steile Piste herunter sauste. In der Sattelberg-Alm gab es zur Belohnung Radler. Und wir trafen einen Hund, der mit Schneebrille ausgerüstet die gesamte Piste mit seinem Ski-Herrchen herunter raste. Die Flensburger Gruppe lieh sich Rodelschlitten und schlitterte mit denen die Rodelbahn hinunter zur Basisstation, mehr oder weniger elegant, mehr oder weniger schnell. Nach einem kurzen Fußweg hatten wir die Bushaltestelle erreicht.
10.2.2022
Vierter Tag. Erneut mit dem Bus bis nach Steinach. Von dort mit der Gondel hinauf auf den Berg auf etwa 2100 m. Hier begann unser Panorama-Weg. Spektakuläre Ausblicke auf die umliegenden Berge. Strahlend blauer Himmel ohne eine Wolke, wenig Wind. Allerdings starteten wir in Obernberg bei -10°, jetzt nähern wir uns der 0°-Grenze und überschreiten diese. Nach und nach konnte man sich Teilen der Kleidung entledigen.
Wir erklommen einen weiteren Gipfel. Mit 2290 m ist er der höchste unserer gesamten Woche. Der Panorama-Weg war nicht sehr lang, so dass wir schon bald mit dem langen, steilen, zum Teil beschwerlichen Abstieg über 1100 Höhenmetern beginnen konnten. Auch wenn keine unmittelbare Lawinengefahr bestand, näherten wir uns erneut diesem Thema. Was wie ein ferner Kanonenschlag klang, war die Setzung eines großen Schneebretts. Das Thema Lawine begleitete uns durch die ganze Woche, immer wieder nutzte Wanderführer Aldo kurze Pausen für kurze Erläuterungen zu diesem Thema. Weniger gefährlich waren Hohlräume im tiefen Schnee, in die der eine oder andere Teilnehmer trat und bis zum Bauch verschwand. Die Befreiung gestaltete sich mitunter als schwierig. Ein verlorenes Portmonee und eine blutende Wunde am Kopf waren am Ende kaum mehr als Randnotizen.
11.2.2022
Freitag, der letzte Wandertag. Wir sind sehr froh, dass wir alle heil runtergekommen sind. Die Schrecksekunde haben gar nicht alle mitbekommen. Das war beim letzten Anstieg hinauf zur Allerleigrubenspitze. Dort oben wieder ein eisiger Wind. Aldo ging voran, Holger ging hinten mit zwei Teilnehmerinnen. Es muss eine schwere Bö gewesen sein, die eine der beiden Wanderinnen packte und ins Straucheln brachte. Da es ein steiler Hang mit festem Schnee war, rutschte sie ungebremst talwärts. Irgendwas zwischen zehn und 20 meter, Kopf voraus. Irgendwann schaffte sie es, die Fahrt zu stoppen und blieb liegen. Holger war schnell bei ihr. Zum Glück hatte sie sich nicht verletzt und war sogar bereit, weiter zum Gipfel hinauf zu gehen. Chapeau!
Der letzte Tag war auf seine Art auch wieder besonders. Vom Hotel ging es direkt bergauf, anfangs steil und dann eher sanft auf einem langen Weg in Serpentinen Richtung Gipfel. Hier war es fast windstill, und der Schnee fiel in Zeitlupe – ein bezaubernder Anblick. Als der Weg zu Ende war, mussten wir mit der Steighilfe relativ steil bergauf gehen. Wir hatten die Baumgrenze hinter uns gelassen und der Wind wurde immer stärker. Aber wir erreichten den Gipfel und auch das war ein gutes Gefühl. Für den Weg zurück wählte Aldo eine Route, die weniger windexponiert war. Der Abstieg gestaltete sich dann als recht lang, und es wurde tatsächlich die längste aller fünf Etappen.
Am Ende blickten alle auf eine ausgesprochen schöne, harmonische Woche zurück – mit tollen Wanderungen, phantastischen Bergeindrücken und ganz viel Wohlgefühl in Almi’s Berghotel.
Joachim Pohl
- Schneeschuhwandern