95 Jahre Sektion Flensburg: Stefan Glowacz zu Gast

Von der Arktis bis in den Orient

Multimediavortrag am 15. November 2019 um 20:00 Uhr in der Aula der Ostseeschule, Klosterholzweg 30, 24944 Flensburg

Der ersehnte Abend war endlich gekom­men, und Stefan Glowacz war nach etlichen Hindernissen durch den vollen Elbtunnel, diversen Bau­stel­len und mit einer Vollsperrung wegen eines Unfalls auf der A7 um 18:36 Uhr angekommen. Und mehr Besucher, als erwartet, sind auch gekom­men. Es konnte los­gehen!

Hochspannung im Vortragsraum (Foto: Rosi Gerlich)

Stefan entführte uns zunächst nach Baffin Island, die größte Insel des Kana­disch-Arktischen Archipels. Bei einer frü­heren Expedition hatten die vier Männer täglich Eis­bärenkontakt, die das Zelt zer­störten und einen großen Teil der Vor­räte fra­ßen, so dass sie statt mit 4000 nur mit täglich 600 kcal pro Tag auskom­men mussten. Die hundertmal geprobte Eskimorolle klappte nicht, so dass Stefan große Mühe hatte, aus dem eisigen Was­ser gerettet zu werden. Nach­­dem sie die Kajaks 40 km über Land gezogen hatten und nach fünf Wochen wieder in Clyde River ankamen, stand fest: „So etwas machen wir nie wieder!“

Nach einiger Zeit überwogen die positi­ven Erlebnisse, so dass Stefan diese Expe­dition 2016 mit Robert Jasper und Klaus Fengler wieder durchführte. Büro­kratische Hürden gibt es keine, man geht einfach los. Allerdings ist eine perfekte Organisation erforderlich, der Zeit- und Handlungsplan muss korrekt eingehalten werden. Ohne technische Errungen­schaf­ten gelang es ihnen aus eigener Kraft, mit den 150 km schweren Schlit­ten vor dem Eisaufbruch den Sam Ford Fjord zu bewältigen. Die grandiosen Bilder in unendlicher Weite im Eis sind beeindruckend. Die senkrechten Fels­wände sind ein Paradies an Big Walls. Beim Aufstieg auf den 700 m hohen Mount Turret, einem griffarmen Felsen ohne Rissstruktur, brach sich Stefan bei einem Steinschlag eine Hand, die andere wurde schwer verletzt. Dennoch, auch das Wetter war schlecht, wurde weiter­gemacht. Nach 38 Stunden Kletterns wurde das Gipfelplateau erreicht, die Wolken rissen auf und gaben einen fan­tastischen Ausblick frei. „Diese intensi­ven Momente bleiben ein Leben lang erhalten“, schwärmte Stefan. Doch der Gipfel ist nur ein Etappenziel, der Rück­weg muss auch gemeistert werden. Die Flussüberquerung war extrem gefähr­lich, das Eis zwar noch 2 m dick, jedoch mit breiten Rissen versehen. Nach 35 Tagen und 350 km im Eis, wurde Clyde River wohlbehalten erreicht.

Der zweite Teil seines Vortrags führte uns zum Kinabalu, mit 4095 m der höch­ste Berg Malaysias. Dieser ist nur mit Genehmigung zu besteigen, die Büro­kratie ist unvorstellbar groß. Touristisch ist der Kinabalu gut erschlossen, laut Stefan der am besten organisierte Berg der Welt, täglich wird er von 300 Men­schen erklommen. Am ersten Tag wer­den sie mit Bussen zum Timpohon Gate in 1800 m Höhe gefahren, von dort be­ginnt der Aufstieg auf 3300 m. Nach Über­nachtung geht es morgens zwi­schen 02:00 und 03:00 Uhr auf den Gipfel, der zum Sonnenaufgang erreicht wird, und dann sofort wieder runter, da am nächsten Tag die nächsten 300 Men­schen kommen. Kurios!

Stefan bekam für seine Expedition zum Mount Andrews Peak nur eine Woche genehmigt. Das Gepäck von jeweils 50 kg musste in einem Durchgang zum drit­ten Gate hochgetragen werden. Beglei­tet wurde das Team von zwei Berg­füh­rern, die das Vorhaben streng überwach­ten. Vorklettern, auch zur Akklimati­sa­tion, wurde streng verboten und nur durch Androhung von Gewalt erlaubt sowie dem Versprechen, niemanden von der Ausnahme zu berichten. Trotz Stark­regens mit Gewitter gelang die Erstbege­hung im 10. Schwierigkeitsgrad. Diese Tour galt auch gleichzeitig der Vorbe­rei­tung für die Expedition im Oman, die als drittes Projekt vorgetragen wurde.

Mit seinem Kletterpartner Chris Sharma aus den USA unternahm Stefan im Feb­ru­ar 2014 das einzigartige und äußerst ungewöhnliche Projekt der Erstbege­hung durch die Majlis-al-Jin-Höhle im östlichen Teil des Hadschar-Gebirges auf dem 1300 m hoch gelegenen Salma-Plateau im Oman. Die Höhle ist mit 450 m Länge, 300 m Breite und einer Tiefe von 180 m die zweitgrößte Trockenhöhle der Welt.

Die Genehmigung gestaltete sich extrem schwierig, da die Höhle ge­sperrt war, nachdem Basejumper durch nicht ge­neh­migte Aktionen bei den Behör­den ver­brannte Erde hinterlassen hatten. Durch zähe, aber freundliche Verhand­lungen wurde schließlich die Genehmi­gung erteilt, nun mussten noch die ein­heimi­schen Bauern überzeugt werden. Das gelang durch das Versprechen, Müll und Kadaver in der Höhle einzusam­meln. Die Bauern hatten keine Ahnung, auf was für einem Gebiet sie leben, das relativ kleine Loch war für sie lediglich ein Ärgernis, da immer wieder Schafe hin­ein­fielen.

Für diese Expedition hatte das Team (insgesamt 25 Personen) nur zwei Wo­chen Zeit. Durch einen Hauptsponsor stand ein stattliches Budget von fast einer halben Millionen Euro zur Verfü­gung, als Gegenleistung musste ein Film gedreht werden, was wiederum etwa eine Tonne zusätzliches Equipment er­for­derte, dar­unter ein Lichtballon und 2400 m Fixseil für die Kameramänner. Die Höhle sollte möglichst nur durch Frei­klettern bewäl­tigt werden, Haken wurden nur für Not­fälle gesetzt.

Das Projekt drohte schon bald zu schei­tern, da sich Stefan bei einem Absturz beide Hände schwer verletzte und auch der 60.000 Euro teure Opto-Copter mit 360-Grad-Optik an der Höhlenwand zer­schellte. Dieser konnte mithilfe eines Besenstiels und Abflussrohren wieder repa­riert werden, Stefans Hände jedoch nicht. Deshalb lag die Hauptaufgabe bei Chris, Stefan war überwiegend für die Sicherung zuständig. In das Höhlen­innere gelangten Stefan und Chris durch Absei­len. Die Herausforderung begann dann mit dem Hinaufklettern in einem Schwie­rigkeitsgrad bis an den oberen 10. Grad und Überhängen von 45° und mehr. Chris hatte es geschafft, das teil­weise horizontale Dach mit 300 m Länge in 13 Seillängen rotpunkt zu klettern. Die Route gilt als einzigartig. Für Stefan war es eine der beeindruckendsten Erfahrun­gen, die er je gemacht hatte, aus der Tiefe der Erde hinauf ins Licht zu klet­tern.

Fotos aus „Into the Light“

Der Vortrag war grandios, das Publikum begeistert. Und auch Stefan hat sich bei uns in Flensburg sehr wohl gefühlt, was er beim herz­lichen Abschied dem Vor­stand ver­sicherte.


Bericht und Fotos unten: Rosi Gerlich


Flensburger Tageblatt vom 17.10.2019